Lilith – Der Schwarze Mond

Lilith – in der klassischen Astrologie auch als Schwarzer Mond bezeichnet –  beschreibt eine archaische Kraft, eine sehr ursprüngliche Energie, die in jedem Menschen schlummert und nach Befreiung sucht. Etwas tief in uns Verborgenes möchte gelebt werden – nein, es muss gelebt werden, denn wenn wir es übergehen, nicht beachten oder zu unterdrücken versuchen, kann es uns krank machen.
Welche Anteile hier an die Oberfläche kommen möchten, das zeigt die Positionierung Liliths in unserer persönlichen Radix.

Lilithkräfte zeigen sich als wilde, unangepasste Energien, die in kein Schema und in keine Tradition passen. Der Mensch sträubt sich gerne gegen diese Einflüsse – zum Einen, weil sie schmerzhaft sein können, zum Anderen, weil sie nicht gesellschaftskonform sind, weil sie ihn in gewisser Hinsicht zum Außenseiter, zum Einzelgänger/kämpfer machen. Es handelt sich meist um unbewusste Ängste vor Abweisung, vor dem Nicht-Verstanden-Werden oder gar vor gesellschaftlicher Ächtung und Ausgrenzung.

Unterdrücken wir diese Kräfte dauerhaft, so wirken sie – in welcher Form auch immer –  lähmend auf unser Dasein. Es ist wie ein innerer Druck, der irgendwann nicht mehr als Druck wahrgenommen wird, weil er sich in unserem Körper festgesetzt hat. Wir spüren ihn als Blockade, Schmerz, Unwohlsein, vielleicht als eine Angst oder als psychische Belastung, für die wir keine Erklärung finden. 
Unsere Aufgabe ist es nun, diese Kraft wieder in unser Bewusstsein zu holen, nachzuspüren, was hier befreit werden möchte, was an die Oberfläche  drängt und nach Ausdruck sucht – um schliesslich den Mut zu haben, diese Qualität wirklich und wahrhaftig zu leben – angstfrei, authentisch und kraftvoll.

Wer oder was ist Lilith?

Minimaler (Perigäum) und maximaler (Apogäum) Abstand zwischen der Erde und dem Mond.

Um Lilith ranken sich zahlreiche Definitionen und Herkunftserklärungen. Als gesichert gilt die Tatsache, dass die Lilith, mit der wir astrologisch arbeiten, einen sogenannten sensitiven Punkt bezeichnet. Das heißt, sie ist kein real existierender Himmelskörper, sondern ein errechneter Punkt auf der Umlaufbahn des Mondes um die Erde.


Der Lilith-Punkt bezeichnet den von der Erde am weitesten entfernt liegenden Punkt dieser Umlaufbahn, das Apogäum. Demgegenüber finden wir Priapus, den Punkt der Mondumlaufbahn mit der geringsten Entfernung zur Erde, auch Perigäum genannt. 

Aus der Astronomie kennt man Lilith auch als Asteroiden 1.181 aus dem Asteroiden-Hauptgürtel, der sich zwischen den Planetenbahnen von Mars und Jupiter befindet. Entdeckt wurde dieser Asteroid am 11. Februar 1927 von dem Astronomen Benjamin Jekhowsky.

Lilith in der Mythologie

Mythologisch gesehen gibt es diverse Zuordnungen. Der Name Lilith tauchte nach heutigen Kenntnissen zum ersten Mal im sumerischen Gilgamesch-Epos auf (ca. 1700 v.Chr., möglicherweise sogar 4000-5000 v.Chr.), wo sie als dämonenhaftes Wesen dargestellt wird. Der Assyriologe Samuel Noah Kramer übersetzte den Namen Ki-Sikil-Lil-La-Ke („Reiner Ort des Windes“) als Lilith.

Weitere Zuordnungen finden wir in mesopotamischen Überlieferungen., wo Lilith mit der weiblichen lilītu (akadisch) oder der ardat lilî („Dienerin des Windes“, „Windbraut“) und dem männlichen lilû in Zusammenhang gebracht wird. 

Lilith-Aspekte finden wir bei diversen machtvollen Göttinen der Antike:

Lilith im Schöpfungsmythos

Als Gott den ersten Menschen schuf, sagte er sich: „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine sei“. Somit schuf er zuerst Adam und anschliessend dessen erste Frau Lilith, beide aus Erde bzw. Lehm. Adam war der Meinung, er sei der Überlegenere der beiden und Lilith habe sich ihm unterzuordnen. Lilith sagte: „Wir sind beide aus dem gleichen Material geschaffen. Wir sind ebenbürtig.“ Es kam zum Streit, woraufhin Lilith den (unaussprechbaren) Namen des allmächtigen Gottes laut herausschrie und aus dem Paradies floh. Gott wollte sie zurückholen. Sie willigte jedoch nicht ein.

Die Geschichte geht weiter. Ich stoppe hier. Wir erkennen schon aus diesen wenigen Zeilen, dass Lilith sehr klare Vorstellungen von der Ebenbürtigkeit aller Wesen hat. Hierzu zählen sowohl Mann und Frau als auch Herrscher und „Untertan“. Für ihre Überzeugung steht sie ein. Sie zeigt sich unangepasst und folgt ihrem eigenen Willen. Dafür wird sie von Gott (Elohim/Jahwe) bestraft, indem er sie verflucht und verdammt. Lilith wird zum Sinnbild für weiblichen Ungehorsam, für Eigenwilligkeit und Männer verführende Bösewichtin. Sie wird abgestempelt als Dämonin, als unheilbringende Kraft, die zu Tod und Verderben führt.

Lilith (1887) von John Collier, Atkinson Art Gallery, Merseyside, England

Lilith (1887) von John Collier, Atkinson Art Gallery, Merseyside, England

Lilith vereint die Kräfte Yin und Yang in einem androgynen Wesen, zu dessen höchsten Attributen die Gleichberechtigung und Freiheit jeglicher Existenz steht.

B.F.

Die Lilith-Kraft sprengt die Grenzen jedweder geschlechtsspezifischer Zuordnung. Somit entzieht sie sich auch dem dualistischen Prinzip, dessen Interpretation auf rein patriarchaler Sichtweise beruht. Mit der kosmischen Energie einer erlösten Lilith dürfen wir uns verabschieden von althergebrachten Ansichten über die spezifischen Charakterzüge von Mann und Frau. Das soll nicht zur Schlussfolgerung einer geschlechtlichen Gleichmacherei oder zur Negierung der unterschiedlichen Geschlechterrollen führen. Es soll vielmehr bedeuten, dass jedes (menschliche) Wesen sowohl männliche als auch weibliche Anteile in sich trägt, die gelebt und erlebt werden dürfen, ohne Wertung und frei von moralischer Begrenzung.

Lilith zu eigen ist eine unbändige Macht, die sie einsetzt, um das zu bekommen, was ihr ihrer Meinung nach zusteht. Sie nutzt ihre weiblichen Vorzüge als leidenschaftliche Verführerin. Im gleichen Maße zeigt sie sich aggressiv und emotionslos vernichtend in Bezug auf alles, was sich ihrem Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung in den Weg stellt. Lilith übertritt Grenzen und bricht Tabus. Sie steht zu hundert Prozent zu ihrer Leidenschaft und zu ihrer Lust. Sie erhebt sich – entgegen der Gesetze der Schwerkraft – in die Luft und spricht das Unaussprechliche aus. 

Was bedeutet das für unser heutiges Dasein?

Das Phänomen Lilith ist meines Erachtens für unser heutiges Werteverständnis schwer greifbar. Alle Erklärungsversuche decken nur einen Bruchteil dessen ab, was Lilith wirklich auszumachen scheint. Eine Erkenntnis, die wir aus den mythologischen Zuordnungen jedoch ziehen können, ist die Tatsache, dass Lilith frei jedweder Berechnung handelt. Sie hat ein sehr klares Verständnis bezüglich der Gleichwertigkeit aller Wesen ebenso wie ein existentielles Bedürfnis nach Freiheit und Selbstbestimmung. Diese Selbstbestimmung ist nicht ego-basiert. Sie beruht auf ihrer kompromisslosen Anbindung an eine innere Führung, für die sie bereit ist, jegliches Opfer zu bringen (sogar ihr eigenes Fleisch und Blut).

Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deshalb benötigen wir die Lilith-Kraft mehr denn je. In einer Zeit, in der wir Sauberkeit und Hygiene immer mehr mit Sterilität verwechseln, in der Körperkontakte vielfach als absolutes Tabu klassifiziert werden oder zum Angst-Thema werden, benötigen wir eine Lilith, die unsere Leidenschaft und unsere innere Wildheit aufrecht erhält oder wiederbringt, als Voraussetzung für ein konstruktives und sich weiterentwickelndes Leben.

Wildheit – Unberechenbarkeit – Tabuthemen… lassen sich nicht eindeutig definieren. Es handelt sich um archaische Kräfte, die aus unserem Unterbewusstsein auf unser Dasein einwirken. Wir können sie nicht beherrschen. Jeglicher Versuch, die Lilith-Kraft zu bändigen, macht sie nur stärker in ihrem lähmenden Einfluss auf unser Leben. Durch Akzeptanz und Hingabe können wir jedoch an diese Urkraft anknüpfen und sie nutzen als energetische Kraft-Quelle für ein authentisches Leben.

Eine erlöste Lilith verhilft nicht unweigerlich zu einem glücklichen Leben im herkömmlichen Sinne. Sie verhilft vielmehr zu einem Glück und einem inneren Wohlsein, das daraus resultiert, die eigene Wahrheit zu leben sowie voll und ganz in Verantwortung zu gehen für die eigene Existenz. Als Konsequenz kann das für das Individuum auch ein Leben als Einzelgänger, Einsiedler oder gar im Exil bzw. fern des gewohnten Umfeldes bedeuten. 

Lilith konfrontiert uns – mit unserer dunkelsten Seite, mit unserem am besten, sogar vor uns selbst, gehüteten Geheimnis, mit unserem tiefen Schmerz. Dieser Beitrag ist eine erste Annäherung meinerseits an ein großes Thema, das sich hiermit bei Weitem noch nicht erschöpft.

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Text: ©Birgit Flores